Baumwesenzauber

Sie stehen da wie Statisten, scheinbar leblos und stumm

einer stattlich und gerade, ein anderer mickrig und krumm.

Einmal Wurzeln geschlagen müssen sie bleiben,

bis auch sie sich ihrem Ende entgegen neigen.

Ob bei Sturm oder Frost, nassen Füßen oder kaum Licht

einfach weglaufen, das können sie leider nicht.

Tapfer das Ziel vor Augen, groß und alt zu werden,

ertragen sie geduldig mancherlei Beschwerden.

Sie können fühlen und haben jeder ihr eigenes Wesen,            

ob in grüner Pracht oder nackter Gestalt, 

rebellisch und jung oder gediegen und alt

nur, wenn man genauer hinsieht kann man es lesen.

Sie spenden uns Schatten und saubere Luft,

sind Ruhepol und verströmen manch herrlichen Duft.

Was diese Lebewesen uns täglich schenken,

sollte Grund genug sein, an sie respektvoll zu denken.

Ich tue es gern und so oft ich kann

und vielleicht ziehen sie schon bald manch anderen in ihren Bann.

 


Der Landstreicher und der Baum
 von Gina Ruck-Pauquet

 

„Da stehst du nun“, sagte der Landstreicher zum Baum.

„Bist zwar groß und stark, aber was hast du schon vom Leben? Kommst nirgendwo hin. Du kennst den Fluss nicht und nicht die Dörfer hinter dem Berg. Immer an der selben Stelle! Du kannst einem leid tun!“ Er packte sein Bündel fester und ging los.

 

„Da gehst du nun, sagte der Baum. „Immer unterwegs, hast keinen Platz, an den du gehörst. Du kannst einem leid tun!“

Der Landstreicher blieb stehen. „Hast du das wirklich gesagt?“ fragte er und schaute zum Baum empor. „Wer sonst?“, sagte der Baum. „Siehst du hier jemanden außer mir?“

„Ne“, sagte der Landstreicher. „Meinst du wirklich, was du sagst? Ich geh´ in die Welt, Tag für Tag, ich kenne die Menschen und die Häuser mit den rot gedeckten Dächern ...“

„Zu mir kommt die Welt“, sagte der Baum. „Der Wind und der Regen, die Eichhörnchen und die Vögel. Und in der Nacht setzt sich der Mond auf meine Zweige.“

„Ja, ja“, sagte der Landstreicher, „aber das Gefühl zu gehen - Schritt für Schritt.“

„Mag schon sein“, sagte der Baum, „aber das Gefühl zu bleiben - Tag und Nacht.“

„Bleiben“, sagte der Landstreicher nachdenklich. „Zu Hause sein. Ach ja.“

Und der Baum seufzte: „gehen, unterwegs sein können – ach ja.“

„Wurzeln zu haben“, sagte der Landstreicher, „ das muss ein tolles Gefühl sein!“

„ Ja, sagte der Baum, ganz ruhig und fest ist es. Und wie lebt man mit den Füßen?“

„Leicht“, sagte der Landstreicher, „flüchtig und schnell.“

„Wenn wir tauschen könnten“, sagte der Baum. „Für eine Weile.“

„ Ja“, sagte der Landstreicher, „das wäre schön.“

„Lass uns Freunde sein“, sagte der Baum. Der Landstreicher nickte.

„Ich werde wiederkommen“, versprach er, „und ich werde dir vom Gehen erzählen.“

„Und ich“, sagte der Baum, „erzähl dir dann vom Bleiben.“